Das Gastmahl in Sololaki


Roman von Nodar Macharashvili
Aus dem Georgischen übersetzt von Lia Wittek

Nodar Macharashwilis Erzählung „Das Gastmahl in Sololaki“ ist inspiriert von einer historischen Begebenheit. Ab 1921 wurde in Georgien eine große nationale Befreiungsbewegung gegen die Sowjetregierung ins Leben gerufen, was mit einer Niederlage endete. Alle Teilnehmer wurden streng bestraft. 

Kote Scherwashidse-Abchasi ist Anführer der zum Tode Verurteilten, von ihm kam auch die Initiative zu dieser seltsamen Bitte. Der Tisch im Wirtshaus ist gedeckt, und im Hintergrund dieses Gastmahls entfaltet sich die dramatische und tragische Geschichte Georgiens zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts …

„Das Gastmahl in Sololaki“ ist die Rekonstruktion der letzten tödlichen Aufführung dieser Rebellen: Bevor sie erschossen werden, erfüllen ihnen die Henker eine letzte Bitte und bringen fünfzehn Gefangene zu einem Essen in ein Wirtshaus in Sololaki.

ISBN 978-3-9503914-9-7 
Euro 22,95
Morawa, Euro 21,50 Hugedubel

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Rezension


Die filmische Sprache der Erzählung Nodar Macharashwilis präsentiert diesen komplexen und umfangreichen dokumentarischen Stoff auf kurze, ausdrucksstarke Weise, wodurch der Leser den Eindruck bekommt, nicht nur zu lesen, sondern auch zuzusehen. Im Text ist der „gedeckte Tisch“ ein georgisches historisches und kulturelles Symbol – eine Kombination aus extremer Tragödie, Lebensbejahung und Lebensfreude vor dem Tod und spiritueller Überwindung der physischen Niederlage.

Leseprobe


Das Gastmahl in Sololaki

– Ist ein Tisch bei dir frei?

– Für wie viele Personen denn bitte?

– Für siebzehn.

– Oh, – missvergnügt stöhnte Tedo auf, der Inhaber des Wirtshauses und gleichzeitig ein Verkäufer von Tontöpfen. – Hätten Sie mich doch zumindest vorab gewarnt. Wo soll ich so viele Gäste unterbringen?

– Leider lassen sich solche Zusammenkünfte nicht im Voraus planen, – antwortete ein Mann mit spitz zulaufendem Schnurrbart und lächelte dabei etwas gezwungen.

– Herr Kote(1), Sie sind es? – verblüfft starrte Tedo den vor ihm Stehenden an, – Herr Kote, ich habe Sie zuerst nicht erkannt … – sprach verwirrt und verlegen der Wirtshausinhaber und sah sich nach den Begleitern seines Gastes um.

– Macht nichts, ich sehe heute auch etwas anders aus, das ist wahrscheinlich der Grund, – beruhigte Kote den Wirt.

– Wir wussten nicht, dass …

– Ist schon gut. Sag mir einfach, ob du uns empfangen kannst, – unterbrach Kote den Wirt mit einem leichten Schlag auf die Schulter.

– Keine Frage, ob ich Sie empfangen kann oder nicht. Ich bin so froh, Sie zu sehen, mir ist, als träumte ich. 

– Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber auch ich fühle mich heute nicht so wie sonst.

– Jungs! Jungs! Los, stellt die Tische zusammen, schnell! –rief Tedo seinen Bediensteten zu.
Mit emsigen Bewegungen gingen die Angesprochenen an die Arbeit und beäugten dabei verwundert mit vor Schlaflosigkeit erschöpften, müden Gesichtern die unerwarteten Gäste. Einige von diesen hatten blaue Schatten unter den Augen und rote Flecken am Hals, als hätte sie jemand gewürgt. Sie schienen keine fröhliche Festgesellschaft zu sein, im Gegenteil, sie sahen aus, als hätten sie gerade einen vertrauten Menschen zu Grabe getragen und suchten jetzt das Wirtshaus auf, um einen Trinkspruch auf die ewige Seligkeit des Verstorbenen auszubringen. 

– Willkommen, Herr Kote! Wir haben uns lange nicht gesehen! – rief unentwegt der aufgeregte Tedo. 

– Danke vielmals, lieber Tedo, vergelt´s dir Gott, – der Mann mit dem spitz zulaufenden Schnurrbart lächelte erneut dem Gastwirt zu und setzte sich an den Tisch. Ihm folgten seine Begleiter, von denen zwei mit Epauletten geschmückte Militäruniformen trugen. Die Uniformierten wirken irgendwie angespannt und nervös. Sie schauten unruhig umher, dabei zitterten ihre Knie wie die von Parkinsonkranken.

– Willst du die Jungs nicht rufen? – flüsterte der eine Uniformierte dem anderen zu.

– Halt einfach mal die Fresse!

– Warum so unhöflich?

– Wirst du dann auf Patrouille stehen, wenn ich sie hereinrufe?

– Ja, ich weiß nicht, daran habe ich nicht gedacht, – senkte der Angesprochene den Kopf wie ein Schüler, der sich für seine Unkenntnis schämt. 

– Ich aber, – erwiderte der Hochrangigere barsch.

– Ich sage Ihnen gleich, was es bei mir gibt, – bemühte sich der Wirt.

– Brauchst du nicht. Wir bestellen einfach, was wir wollen.

– Wie Sie wünschen.

– Khinkali(2) nehmen wir nicht, oder? – mit zusammengekniffenen Augen blickte der am Kopf des Tisches sitzende Kote in die Runde.

– Nein, nein, keine Khinkali, ich habe keinen Appetit, – schüttelte einer der Anwesenden den Kopf. Auch die anderen Gäste waren merkwürdig still. 

– Warte mal kurz! – rief der Uniformierte mit dem grimmigen Gesicht.

– Was möchtest du? – Kote sah ihm angespannt in die Augen. 

– Fragst du Anatoly und mich nicht mehr? – dabei schaute der Grimmige zu Kote und sah gleichzeitig höhnisch und hochmütig seinen Untergebenen Anatoly an. 

– Warum ärgerst du dich, Wakho, Kote hat alle gefragt, – zuckte Anatoly mit den Schultern und rückte mit einer Hand seine mit einem roten Stern versehene Mütze zurecht.

– Wer hat dich zu Kotes Anwalt ernannt?! – knurrte Wakho erneut den Untergebenen an. 

– Ich glaube, wir waren uns darüber einig, dass du uns hier keinen Ärger machst … – vorwurfsvoll erinnerte Mischa Zandukeli den hochrangigen Uniformierten an dessen Worte.

– Wenn ich Khinkali möchte, verdirbt denn das die Stimmung? – erwiderte Wakho maulend.       

– Auch Khinkali werden gebracht, einfach damit du nicht hungrig bleibst … – antwortete Kote scharf.

– Oh ja, das hört sich nett an, – zufrieden verschränkte Wakho die Hände über der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.  

Der Gastwirt Tedo blickte irritiert hin und her. Er konnte weder verstehen, was diese Menschen zusammengebracht hatte, noch, was die Spannung zwischen ihnen bedeutete. 

– Tedo, bring uns bitte Spießbraten, dazu noch Kebab und Tschakapuli(2).

– Sehr gern, mein Lieber, wie viele Portionen?

– Keine Ahnung, mach es für siebzehn Leute.

– Mach ich.

– Gurken und Tomaten …

– Wird gemacht.

– Bitte sag ihm, er soll Bohnen und Maisbrot nicht vergessen.

– Noch etwas außerdem? – fragte Tedo.

– Was möchtet ihr noch sonst? – Kote sah erneut seine Begleiter an.

– Vergiss die Khinkali nicht, sonst hält er die Worte eines ehrlichen Kommunisten für schnurzpiepegal und erschießt uns gleich! – rief Zandukeli vom anderen Ende des Tisches Kote zu und alle, bis auf den mit dem grimmigen Gesicht, brachen in lautes Gelächter aus. 

– Wenn die Khinkali uns retten und unser Leben verlängern, klar, dann bestelle ich sie sofort, was sonst?! Khinkali!!! – rief Kote launig dem Gastwirt zu und schlug mit der Hand Warden Tsulukidse, der neben ihm saß, auf das Knie.

– Bring zuerst Wein, Vorspeisen und imeretischen(3) Käse.

– Jawohl, Herr Kote, – nickte der Gastwirt. – Noch etwas … wie viele Khinkali?

– Frage das ihn, – mit einer Wendung des Kopfes deutete Kote auf Wakho.

– Zwanzig Stück, – zögerte nicht zu antworten der Uniformierte mit dem grimmigen Gesicht.

Tedos Abgang war begleitet von einem plötzlichen Einbruch von Grabesstille. Bald verließen auch die drei Gäste vom Nebentisch das Wirtshaus und Kote und seine Begleiter blieben allein. Es entstand ein unbehagliches Schweigen, mit gesenkten Augen schienen die Männer darüber nachzudenken, welche Worte sie wählen sollten, um diese Stille zu brechen. Aber keiner von ihnen brachte auch nur einen Laut heraus. Es war, als ahnten sie ein bevorstehendes Unglück und angesichts dieser Gewissheit warteten sie folgsam ab.

Draußen goss der Mairegen in Strömen und dicke Tropfen klopften wie Hagel auf die geschlossenen Fenster des Gasthauses. General Tsulukidse, der ein knopfloses, am Kragen zerrissenes Hemd trug, begann Wein in die Gläser zu gießen.

– Wirst du den Tischvorsitz führen? – fragte Tsulukidse Kote.

– Warum nicht du?

– Um Gottes willen! – ablehnend schüttelte Tsulukidse den Kopf.

– Auch ich bin nicht in der Stimmung zu feiern, aber was sollen wir tun? – erwiderte Kote.

– Was weiß ich, du wolltest doch tafeln und … – warf Tsulukidse ein, als wollte er Kote tadeln.

– Nun, wo werden wir uns noch einmal so treffen? Komm schon, fahren wir einander nicht verärgert an, – wandte sich Zandukeli an Tsulukidse. 

– Menschenskind, ich bin doch niemandem böse.

– Das ist ja wunderbar, – sagte Kote.
Dann strich er mit einer leichten Bewegung der Hand über seinen Schnurrbart und stand mit einem Glas in der Hand auf.

– Was für ein Wein ist das?

– Ich habe nicht danach gefragt, aber dieses Gasthaus hat immer Tschinuri(4) aus Kartli(5) – antwortete Kote auf die Frage Sandro Andronikaschwilis.

– Mir geht’s so dreckig, dass es mir, schenkte mir jemand statt Tschinuri Gift ein, wie Muttermilch schmecken würde, – warf Tsulukidse ein und schüttelte dabei resigniert den Kopf.

– Jammert nicht, um Gottes willen, trinkt schnell aus und unterlasst diese niederdrückenden Bemerkungen, – rief Wakho wütend.

Kote stand versteinert da und starrte mit dem Glas in der Hand irgendwo in die Ferne. Wie oft hatte er vor dem Volk eine Rede gehalten, wie oft hatte er zu den Menschen mit kräftiger Stimme gesprochen, aber jetzt versagte ihm die Stimme und auf seinem Gesicht standen Schweißperlen. Er war so aufgeregt wie in jungen Jahren, als er die Aufnahmeprüfung an der Militärakademie in Petersburg bestand. Und die Erinnerung führte ihn noch tiefer in die Vergangenheit, er sah jenen Tag vor seinem damaligen Aufbruch nach Russland, als sich die gesamte Familie in seinem Elternhaus versammelte. 

Dorf Kardenakhi(6), Kacheti(7)

In der Mitte eines weit ausladenden Hofes stand ein schönes Steinhaus. Den saalartigen Raum schmückte ein großer Kamin, in dem brennendes Holz gelb glühte. Kotes Vater Nikolos saß auf einem dreibeinigen Hocker und hielt seine Hände gegen das Feuer.

– Nino! Nino! – rief er seine Frau.

– Was ist denn los, warum so laut? Weißt du nicht, dass Kote schläft … – antwortete Nino aus der Küche.

– Ich schlafe nicht, Mama, ich bin hier, bei Papa! – rief der Sohn und legte Holz in den Kamin.

– Komm zu uns, Nino! – bat ihr Mann mit leicht gereizter Stimme.

– Ich komme gleich.

Nino trug ein knöchellanges Kleid in glänzendem Lila, ihr Haar war streng nach hinten gekämmt. Als sie in den großen Raum kam, brachte sie Ehemann und Sohn eine Schale voll Mandeln und gerösteter Sonnenblumenkerne. 

– Was ist, warum habt ihr mich gerufen? – fragte Nino und schaute Nikolos und Kote ruhig an. 

Nikolos antwortete, ohne sich zu seiner Frau umzudrehen. 

– Ich habe deinen Bruder Ilia(8) getroffen.

– Und?

– Ich habe ihm erzählt, dass Kote seine militärische Ausbildung in Petersburg fortsetzen wird.

– Wie hat Ilia darauf reagiert?

– Wie sollte er reagieren? Die Idee gefiel ihm nicht.

– Warum nicht? Hat er das nicht gesagt? – hakte Nino nach.

„So eine Schande, was werden die Leute denken. Ich kämpfe hier gegen den Zaren und ihr wollt ihm zu Diensten sein?“ – antwortete Kote anstelle des Vaters.

Nino stellte die Schale auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Der Frau aus Tschawtschawadses Familie gefiel der ironische Ton von Mann und Sohn nicht. 

– Ich habe euch, sowohl Vater als auch Sohn, gebeten, erzählt Ilia erst einmal noch nichts.

– Was sollten wir nicht erzählen, Mutter? Hätte ich verheimlichen sollen, dass ich nach Petersburg fahre? Warum wohl? Was tue ich Anstößiges? – warf Kote in den Raum.

– Um Himmels willen, warum sollten wir das verheimlichen? Als ob Ilia der Hirte oder Oberhirte unserer Heimat ist! – flüsterte Nikolos spöttisch und zwinkerte dabei seinem Sohn zu.

– Ja, Nikolos, das ist er aber! – warf Nino wütend ein.

– Ja, ja, der eine ist der Hirte des Vaterlandes und der andere, dieser Zereteli(9), ein Frauenheld.

– Hör auf, wie redest du denn?! – fuhr Nino mit lauter Stimme dazwischen und erhob sich.

– Vater hat recht, warum sollte mein Onkel dagegen sein, dass ich nach Petersburg gehe, während er selbst Mitglied der vom Zaren einberufenen Ratsversammlung ist, – stärkte Kote seinem Vater den Rücken.

– Schämst du dich nicht, so über deinen Onkel zu sprechen? Glaubst du etwa, nur weil du ein Gymnasium besucht hast und achtzehn Jahre alt bist, hast du das Recht, schlecht über Ilia zu reden?

– So habe ich es nicht gemeint, – der Sohn hob entschuldigend die Schultern.

– Es geht darum, dass du denkst, du seiest sehr schlau, – Ninos Wut ließ sich nicht mehr verbergen. Niemandem hätte sie erlaubt, Späße oder ein Schimpfwort über ihren Bruder zu wagen, – und wenn mein Bruder vom Zaren in die russische Ratsversammlung einbestellt ist, dann verteidigt er dort die Interessen der Georgier.

– Wenn er Karten spielt und den Bauern das Fell über die Ohren zieht, schützt er dann immer noch die Interessen der Georgier? – fragte Nikolos höhnisch und warf ein weiteres Stück Holz in den Kamin.

– Wie du dich nicht schämst, Nikolos, Ilia in Gegenwart unseres Kindes schlechtzumachen.

– In Gegenwart des Kindes? Der junge Mann hat ein Gymnasium besucht, ist achtzehn Jahre alt, er will Artillerist werden und ist da noch ein Kind?!

– Ja, für mich schon, – antwortete Nino stur.

– Ich reise morgen ab, Mama, bitte streitet nicht mehr, – Kote kam zu seiner Mutter, umarmte und küsste sie auf den Kopf – du weißt, wie sehr ich Ilia mag, wie sehr ich ihn respektiere. Sei bitte nicht verärgert, ich flehe dich an, – bat Kote und griff nach den Mandeln in der Schale. 

***    

Kote stand noch immer mit dem Glas in der Hand und versuchte ein Anfangswort für seinen Trinkspruch zu finden. Währenddessen servierte Tedo Spießbraten und Kebab.

– Hat es dir die Sprache verschlagen? Junge, sag endlich etwas, – forderte General Sandro Andronikaschwili den Tischführer Kote halb scherzhaft auf.

– Der erste Trinkspruch gebührt nach orthodoxer Weise Gott, – begann Kote ernst und sah dabei Wakho an, der mit beiden Händen ein Khinkali hielt und dessen Saft gierig und geräuschvoll schlürfte, – aber ich möchte damit beginnen, ihn unseren Eltern zu widmen.

– Warum? Schiebst du Gott so einfach beiseite, Herr Kote? – Wakho zog eine Augenbraue hoch und grinste so, dass seine Zähne mitsamt den vom Khinkali abgebissenen Fleischstücken zu sehen waren. 

Der Tischführer erwiderte darauf nichts und sprach weiter.

– Für uns stehen unsere Eltern für Gott, Liebe und Glaube, also trinken wir auf unsere Eltern, die am Leben sind. Und auf die, welche verstorben sind, möge Gott sie segnen. –
Kote trank sein Glas in einem Zug aus und setzte sich wieder. Die an den Längsseiten des Tisches Sitzenden tranken schweigend. 

Auch Anatoly nahm ein Glas, trank es aber, als er Wakhos adlerscharfen Blick wahrnahm, nicht einmal zur Hälfte aus und verschluckte sich, dass er fast erstickte. Niemand klopfte ihm mit ausgestreckter Hand auf den Rücken, als beobachteten alle Anwesenden prüfend, ob der Bolschewik Schluckauf und Atemnot ertrug. 

– Was, Anatoly, hast du nun auf Gott oder auf die Eltern angestoßen? – spöttelte sein Vorgesetzter Wakho.  

– Nein, Wakho, mit Gott hat das hier nichts zu tun, ich habe auf das Wohl unserer Eltern getrunken. 

– Ach soo, auf die Eltern, das war es?

– Ja, in der Tat, – bekräftigte Anatoly mit Nachdruck.

Wakho wischte sich den fettigen Mund ab und stand auf. Dann ging er langsam auf Kote zu, kam ihm näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr, dass es alle hören konnten:

– Ja, aber als deine Scheiß Menschewiki(10)-Regierung die Religion verurteilte, wo warst du denn da? Warum hast du damals deine Stimme nicht erhoben im Namen Christi?!

Kote gab keinen Ton von sich, blickte nur für einen Moment in die Runde. Mit seinem Blick warnte er alle, nicht auf die Provokation dieses Mistkerls einzugehen.

Die Männer am Tisch glichen Soldaten, die den Kampf und alle Hoffnung verloren hatten. 

– Antworte mir, Kote, warum schweigst du, lass es mich wissen … – pöbelte weiter der Uniformierte mit einer für seine Partei charakteristischen Dreistigkeit – oder saßest du damals gemütlich in deinem Generalbüro und hattest keine Zeit für Gott? Wahrscheinlich hattest du keine Zeit, weil du von Jordania(11) zu sehr eingespannt wurdest. Wo hättest du da Zeit gehabt, dich etwas anderem zu widmen. Na los, sprich, warum bist du stumm?! – brüllte Wakho schnaufend direkt vor Kotes Gesicht. Doch in diesem Augenblick sprang Zandukeli von seinem Stuhl auf und stellte sich zwischen die beiden Männer.

– Halt dich zurück, du Feigling, sonst durchbohre ich deine Stirn! – der uniformierte Wakho schrie Zandukeli an und zog eine Pistole aus dem Gürtelholster. 

Kote erhob sich abrupt, schob Zandukeli mit der Hand zur Seite, stellte sich vor den Bewaffneten und schaute ihm voller Zorn in die Augen. Ein paar Sekunden lang standen beide wie versteinert da.

– Glaubst du etwa, dass hier jemand Angst vor dir hat? – fragte Kote mit gerunzelter Stirn.

– Darüber brauche ich gar nicht nachzudenken, das weiß ich auch so! – ließ sich der Bolschewik nicht einschüchtern.

– Nun, da irrst du dich sehr, verehrter Genosse. Ich beantworte dein dreistes Gequengel nicht, weil ich den Jungs und mir diese Tischgesellschaft nicht verderben möchte.

– Tatsächlich? – Als ob nichts gewesen wäre, wich der wutschnaubende Wakho zurück und hielt dabei den Pistolengriff so fest, dass seine Finger schwitzten. 

Anatoly eilte wütend zu Wakho und beförderte ihn unter Stößen zurück auf dessen Platz. Beschämt und gereizt ergriff dieser ein Weinglas, trank es in einem Zug aus und setzte sich brummend mit glutrotem Gesicht auf einen Stuhl. 

General Rostom Muskhelischwili schlug mit der Faust auf den Tisch, erhob sich und drehte sich zu Wakho um, der kaum beschwichtigt schien:

– Ich wusste, dass du nicht gut erzogen und gebildet bist, aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass du derart stumpfsinnig bist. Da Kote selbst nichts sagt, werde ich dir sagen, dass unserer Kirche die Autokephalie erteilt wurde, ein Jahr bevor die Jordania-Regierung kam, wozu unser Tischführer viel beigetragen hat. Zumindest solltest du wissen, wen du anschnauzt und wovon du sprichst … 

General Muskhelischwili sprach mit einer so kräftigen Stimme, dass die vor dem Haus stehenden Wachposten in die Gaststube stürmten. 

– Was ist los, Genosse Wakho? – fragte einer aufgeschreckt.

– Alles ist gut. Bitte wartet draußen, – beruhigte Anatoly sie. Die Wachhunde kehrten sofort nach draußen zurück.

1. Kote – gemeint ist Konstantine (Kote) Shervashidze-Abkhazi (1867-1923), georgischer General, einer der Führer der nationalen Befreiungsbewegung Georgiens in den Jahren 1921-1923, Leiter des Militärzentrums, Vorsitzender der
Nationaldemokratischen Partei Georgiens, einer der Gründer der staatlichen Tbiliser Universität.

2. Khinkali, Tschakapuli  – georgische Spezialitäten. 

3. Imeretien – westgeorgische Region 

4. Tschinuri – Weinsorte 

5. Kartli – Region in Georgien 

6. Kardenakhi – Dorf in Georgien 

7. Kacheti – ostgeorgische Region 

8. Ilia – gemeint ist Ilia Tschawtschawadse (1837-1907) georgischer Schriftsteller, Politiker, Bankier, Publizist, Leitfigur der georgischen Nationalbewegung 

9. Zereteli – Akaki Zereteli, georgischer Schriftsteller und Dichter (1840-1915)

10. Menschewiki – wörtlich „Minderheitler“. Sie waren eine Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands 

11. Jordania – Noe Jordania (1868-1953) Präsident der demokratischen Republik Georgien zwischen 1918-1921